In meinem Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau zur Kita-Qualitätsoffensive von Ministerin Giffey fordere ich: „Egal ob Selma und Justus in Frankfurt oder in der Uckermark aufwachsen, egal ob hier geboren oder als Flüchtlingskind neu in Deutschland, egal ob mit Geschwistern oder als Einzelkind – alle Kinder haben die Chance auf ein gutes Aufwachsen verdient. Einen entscheidenden Beitrag hierzu leisten gute Kitas. Deshalb gehört in die Orte, denen wir unsere Kleinsten anvertrauen, Spitzenqualität.“
Den Gastbeitrag finden Sie hier im Volltext oder auf fr.de
Geldgeschenke reichen nicht
Der lang erwartete Gesetzentwurf der Bundesregierung für bessere Kitas muss nachgebessert werden. Sonst wird das Ziel nicht erreicht.
Egal ob Selma und Justus in Frankfurt oder in der Uckermark aufwachsen, egal ob hier geboren oder als Flüchtlingskind neu in Deutschland, egal ob mit Geschwistern oder als Einzelkind – alle Kinder haben die Chance auf ein gutes Aufwachsen verdient. Einen entscheidenden Beitrag hierzu leisten gute Kitas. Deshalb gehört in die Orte, denen wir unsere Kleinsten anvertrauen, Spitzenqualität.
Doch die Realität in den Kitas sieht oft anders aus: Eine Erzieherin muss gleichzeitig Windeln wechseln, trösten, vorlesen und zwischen Tür und Angel für Eltern ein offenes Ohr haben. Zu viel Lärm, zu wenig Raum, zu wenig Fachkräfte.
Deutschlandweit gibt es krasse Unterschiede, wie viele Kinder eine Erzieherin oder ein Erzieher betreut. Dabei ist die Zeit, die Fachkräfte für die Kinder haben, entscheidend dafür, dass sich Kinder wohlfühlen und individuell gefördert werden können. Wir brauchen deshalb dringend ein Kitaqualitätsgesetz, das Mindeststandards für die Qualität gesetzlich festlegt.
Ein kindgerechtes Betreuungsverhältnis bedeutet, dass auf drei Krippenkinder eine Erzieherin oder ein Erzieher kommt und bei Kindern über drei Jahren eine Fachkraft höchstens zehn ältere Kinder betreut. Damit sie neben ausreichend Zeit für die Kinder auch Luft für Vor- und Nachbereitung und Elterngespräche hat.
Das seit Jahren angekündigte und nun von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey für das Kabinett vorgelegte Kitaqualitätsentwicklungsgesetz ist daher mehr als überfällig. Und bei den Überschriften klingt alles auch ganz toll.
Nicht nur mehr Qualität soll es geben, sondern auch Geld vom Bund für mehr Erzieherinnen und Erzieher, kindgerechte Räume bis hin zu kostenlosen Kitas. Doch was als Geschenk daherkommen soll, entpuppt sich bei genauerem Hinschauen als Mogelpackung, die den Kitas wenig Gutes bringen wird.
Das liegt vor allem an dreierlei: Erstens: Frau Giffey spielt das Allerwichtigste, nämlich die Qualität, gegen die Beitragsfreiheit aus. Schritte zur Beitragsfreiheit – die grundsätzlich positiv sind, aber in einem Qualitätsgesetz nichts zu suchen haben – werden zur prioritären Maßnahme erklärt.
Zweitens: Anders als bislang zwischen Bund und Ländern verabredet, unterstützt der Bund die Länder bei der Kitaqualität nicht dauerhaft, sondern nur die nächsten vier Jahre.
Drittens ist weder gesichert, dass die Länder die Mittel des Bundes für zusätzliche Qualitätsmaßnahmen ausgeben, statt einfach bisherige Landesmittel zu ersetzen, noch hat der Bund dafür Steuerungs- oder gar Sanktionierungsmöglichkeiten.

Bild: LRCL/Pixabay, CC0-Lizenz
Mit diesem Entwurf wird die Chance verschenkt, nachhaltig gute und vergleichbare Qualität in die Kitas zu bekommen. Ausbaden müssen es die Kinder, wie etwa die fünfjährige Selma, die verängstigt durch die Lautstärke und die vielen Kindern kaum ein Wort spricht und sehr zurückgezogen alleine spielt. Sie benötigt besonders viel Zuwendung von ihrer Erzieherin, die wiederum auch viel Zeit braucht, um mit Selmas Eltern zu überlegen, woher das kommt und wie Selma gefördert werden kann, denn sie kommt bald in die Schule. Oder Justus, mit dem wegen einer Muskelerkrankung täglich eigentlich ganz oft gebastelt und geturnt werden muss, um seine Motorik zu verbessern.
Weil die Qualitätsstandards wieder nicht verbindlich gemacht werden und zugleich so stark von der finanziellen Situation der Länder und Kommunen abhängen, steht zu befürchten, dass mit diesem Gesetz die Schere zwischen den Kitas weiter auseinander geht. Denn wenn es sich Selmas oder Justus Eltern leisten können, werden sie sich gute Qualität in privaten Kitas kaufen. Wenn nicht, hilft ihnen Beitragsfreiheit, die mancherorts auch noch zulasten der Qualität geht, gar nichts.
Umfragen zeigen, dass sich ein Großteil der Eltern an den Kitakosten beteiligen würde, wenn dadurch die Betreuung ihrer Kinder verbessert wird. Hierbei von einer Qualitätssteigerung zu sprechen grenzt an Täuschung.
Zumal Qualitätsentwicklung nicht nur Geld kostet, sondern auch Zeit in der Umsetzung. Wenn der Bund aber nur bis 2022 finanzielle Mittel zur Verfügung stellt und die Länder im Unklaren darüber lässt, wer diese Lücke danach füllt, ist fraglich, ob sie sich gerade bei der Qualität nachhaltig auf den Weg machen.
„Familien und Kinder im Mittelpunkt“ – so lautet die Überschrift im Koalitionsvertrag. Der Kitaqualitätsgesetzentwurf wird den dort angekündigten Vereinbarungen jedoch nicht gerecht. Wie leider so oft gilt auch hier: Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht. Damit Erzieherinnen und Erzieher, Eltern und ihre Kinder am Ende nicht die Verlierer sind, muss dringend nachgebessert werden.
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